Visionen aus Porzellan
Wo die Zukunft des Porzellans entsteht – Porzellanikon in Selb gibt Einblicke in die „DesignLabs“ der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle
Nicht Meißen, nicht Berlin – wenn es um die Zukunft des Porzellans in Deutschland geht, ist Halle das Zentrum für innovatives Design. Die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle ist nicht nur Ort künstlerischer Gestaltung, Lehre und Forschung. Ein wichtiger Zweig im Studium angehender Designerinnen und Designer ist das Experimentieren an den Schnittstellen zwischen Design, Handwerk, neuen Materialien und Technologien. Die sogenannten „Design-Laboratorien“ der Burg, kurz „DesignLabs“ genannt, nehmen in der Sparte „Produktdesign / Keramik- und Glasdesign“ der Kunsthochschule einen wichtigen Platz ein. Hier entwickeln junge Kreative innovative Produkte, Designs und ästhetische Lösungen von morgen. Einige davon werden vielleicht schon bald in Serie gehen und fester Bestandteil unserer Koch-, Ess- und Wohnkultur sein. Schon in naher Zukunft könnten etwa aus dem klassischen Goldrand-Dekor entwickelte Porzellangeschirre oder Lampen erhältlich sein, die das Edelmetall nicht nur als Verzierung einsetzen, sondern seine Leitfähigkeit nutzen, um über Berührung oder Wärmezufuhr bestimmte Leucht- oder Klang-Effekte zu erzeugen – ganz ohne Strom. Der Gegenstand wird so nicht nur attraktiver, sondern auch multifunktional einsetzbar. Oder vielleicht werden betonummantelte Porzellangefäße mit Temperaturspeicher-Funktion Einzug in unsere Küchenschänke halten, die – ob im Kühlschrank oder im Ofen erhitzt – die Umgebungstemperatur länger speichern als herkömmliche Geschirrstück aus Porzellan oder Metall.
Rund 450 Stücke, spannendste Porzellanvisionen und -lösungen, sind aktuell im Porzellanikon in Selb in der Ausstellung „REINE FORMSACHE. Vom Bauhaus-Impuls zum Designlabor an der Giebichenstein in Halle“ im Ausstellungsteil „DesignLab“ zu sehen (noch bis 6. Oktober 2019). Die Studien- und Abschlussarbeiten junger Designerinnen und Designer aus den letzten zehn Jahren verteilen sich auf die Themenschwerpunkte „Experiment“, „Form“ und „Neue Porzellanwelten“. Sie geben einen faszinierenden Überblick über neueste Formen, Ideen, Anwendungsgebiete und experimentelle Neukombinationen zwischen dem Werkstoff Porzellan und unterschiedlichsten Materialien. Die Arbeiten der 60 Jungdesignerinnen und -designer dokumentieren den Wandel der Porzellanindustrie in Europa und die enormen Veränderungen in den Ernährungs- und Gebrauchsgewohnheiten.
Radikaler Umbruch – Porzellandesign im Wandel
„In den letzten 30 Jahren hat sich die deutsche Porzellanindustrie radikal verändert. Viele alteingesessene Unternehmen mussten aufgeben oder wurden von größeren Unternehmen übernommen“, sagt Wilhelm Siemen, Direktor des Porzellanikon in Selb. „Verantwortlich dafür sind Faktoren wie Konkurrenz aus dem Ausland, Produktpiraterie, Krisen im Finanzwesen sowie Währungsschwankungen. Hinzu kommen sicher eigene Versäumnisse“, so Siemen weiter. Um sich am Markt behaupten zu können, bedürfe es innovativer, zeitgemäßer Produkte und Designlösungen. Wichtige Themen wie Nachhaltigkeit, das zunehmende Bedürfnis der Gesellschaft nach Individualität, Flexibilität und Mobilität – sie alle fließen in den experimentellen Gestaltungsprozess der jungen Entwerfer aus Halle ein. Aber auch Fragen nach der Wirkung der Form des Essgeschirrs auf den individuellen Geschmack von Lebensmitteln werden ausgelotet. „Die jungen Entwerfer arbeiten in den ‚DesignLabs‘ am Puls der Zeit, betreiben Materialforschung und experimentieren mit neuen Schnittstellen zu den Materialwissenschaften und neuesten Technologien“, erklärt Designerin Steffi Auffenbauer, Kuratorin des Ausstellungsteils „DesignLab“ und Leiterin zahlreicher Lehrveranstaltungen an der Burg Giebichenstein. Neben keramischem 3-D-Druck werden Modellkerne gedruckt, abgeformt, abgegossen und händisch weiterbearbeitet. Lasern, Fräsen, Drucken, Cuttern – einst untypische Verfahren zur Porzellanherstellung – sind mittlerweile selbstverständliche Gestaltungsmittel in der Keramik. „Es ist immer wieder spannend zu sehen, welche unterschiedlichen Ansätze und Lösungen die jungen Leute finden“, so die Designerin weiter. „Umso mehr freuen wir uns dann auch, wenn ein Design in Serie geht.“
Die „Burg“ – eine Erfolgsgeschichte mit ungebrochener Tradition
Die Verbindung von Handwerk, Technik und industrieller Fertigung von Porzellan hat eine ungebrochene, mehr als 100-jährige Tradition an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Sie beginnt Mitte der 1920er Jahre mit Marguerite Friedlaender und Gerhard Marcks, die vom Bauhaus in Weimar nach Halle kamen und dort die Porzellanwerkstatt aufbauten, und hat bis heute zahlreiche renommierte Designerinnen und Designer hervorgebracht. So überrascht es nicht, dass führende Porzellan-Produktdesignerinnen von der Kunsthochschule Burg Giebichenstein stammen, darunter Barbara Schmidt, die als Chefdesignerin von KAHLA/Thüringen mit weltweit 50 Millionen verkaufter Geschirrteile maßgeblich für den Erfolg des Unternehmens verantwortlich ist, und Heike Philipp, erfolgreiche Leiterin der Produktentwicklung des Weltmarktführers für Profiporzellan, BHS tabletop AG. Sie alle eint, dass sie sich zwar vom Geist des Bauhaus inspirieren ließen, aber dennoch völlig eigene zeitgemäße Designlösungen entwickelten.
Die Ausstellung „REINE FORMSACHE. Vom Bauhaus-Impuls zum Designlabor an der Burg Giebichenstein in Halle“ mit den beiden Ausstellungsteilen „DesignLab“ in Selb und „Chronik“ in Hohenberg an der Eger ist noch bis zum 6. Oktober 2019 zu sehen.
Weitere Informationen: www.porzellanikon.org
www.selbamberg.de
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